„Die Stimmen der Dinge“

Die Bar als Hörspielort

Dürstendes Winken gen Barmann, ein Lächeln an den hübschen Menschen drei Hocker weiter, und gedimmte Lichter erzählen von einer Welt, in der Routinen und Daytime-Jobs verblassen. Sind die da hinten überhaupt schon 18? Warum hat dieser Typ eine Jogginghose an und wieso finde ich die so geil?

Durch Bars navigieren wir visuell. Die Augen als Kompass im Nachtleben. Und jetzt stelle man sich vor, man habe diesen verloren. Alles ist weg und trotzdem noch da, nur sehen kann man es nicht mehr. Aber Dunkelheit macht hellhörig. Wo die Augen nichts mehr zu tun haben, fängt Hörspiel an.

Der Auftakt zur Veranstaltungsserie „Die Stimmen der Dinge“ (www.drama-koeln.de/projekte/2015-3/die-stimmen-der-dinge-i-iv) der Gruppe „Drama Köln“ führt das erfrischend eindrücklich vor Ohren. Beim Betreten der Kölner Bar „King Georg“ (www.kinggeorg.de) wird der Besucher mit einer schwarzen Stoffbinde temporär ums Augenlicht gebracht und von einer fremden Person, die sich anhört und anfühlt, aber nicht mehr aussieht, an einen Sitzplatz geführt. Allmählich wird aus der dumpfen Ahnung die Gewissheit, dass das Hörspiel längst losgegangen ist, auch wenn wider Erwarten noch keine Schauspielerin gesprochen hat. Die Ohren spitzen sich – filigrane Musik, Gläserklirren, Gespräche.

Aber noch etwas dämmert: Die Schauspieler, das sind wir, bin ich. Hier tritt niemand mehr auf, ich steuere jetzt die Handlung, versuche, mich mit meinem Nebensitzer zu unterhalten, dann mit der Gruppe, die sich irgendwann um mich schart, knüpfe E-Mail-Kontakt zu Sonja – bis ich abermals an der Hand geführt und plötzlich draußen im Agnesviertel, in einer anderen Bar an eine unbekannte, aber freundliche Trinkgesellschaft abgegeben werde. Um mich herum nun: Die sogenannte Realität, unsinszeniert. Einer aus meiner Gruppe, der ganz links, erzählt, dass er nicht joggen kann. „Warum?“, frage ich. – „Ich hab‘ nur ein Bein.“ Das konnte ich nicht hören. Ich schäme mich nicht. Interessant. Wir reden, kaufen schließlich Smarties-Eis bei Rewe, mit dem als Trophäe ich ins King Georg zurückkehre, meine Augenbinde ablege und mit einem jungen Kerl aus Gambia rede, der dort ebenfalls jemanden zurückgebracht hat.

Ich wäge meine zweifellos spannenden Erfahrungen mit meinem Empfinden ab, dass es mich manchmal nervt, bei Kunst zum Mitmachen extra aufgefordert zu werden. Kunst schauen, Hörspiel hören ist an sich doch schon total aktiv, finde ich. Vielleicht war ich auch zunächst zu faul. In die Gänge bin ich ja noch gekommen, in die Gehörgänge sowieso.

Die nächsten zwei Ausgaben der vierteiligen Reihe kommen schon näher an den Ankündigungstext ran, an die „reale(n) Akteure(n) im Stadtraum“, die das King Georg und sein Publikum ansteuern, auf ihrem Weg akustisch in der Bar-Raum übertragen und von dort improvisierenden Musikern begleitet werden. Julie Pfleiderer collagiert Texte und Szenen in und außerhalb der Bar, zusammengehal(l)ten vom atmosphärischen Sound des Duo Colorist. Sehr schön.

Handlungsorientierter gehen es dann Acing Accomplices mit Matthias Kapohl und der Musik von Gregor Schwellenbach an: Zwei alte Kumpels machen sich am Kölner Hauptbahnhof gen King Georg auf. Der eine wird dort auf seine alte, langjährige Liebschaft treffen und nutzt den Weg dorthin, mutiger zu werden. Das Ende bleibt etwas unbefriedigend. Spaß machen sie aber alle, die Bar-Hörspiele, die einmal mehr den eigenen Begriff dieses Genres und seiner Orte erweitern.

Ende März geht’s in die vierte und letzte Runde, dann mit Philine Velhagen und The Nest.