Regenwaldgeräusche als Wille und Vorstellung

Folkways Records war eines der wichtigsten und grössten unabhängigen Plattenlabels, welches ab den späten 1940er Jahren frühen Jazz, ethnomusikalische Recherchen und eben Folk-Music veröffentlichte. Auch unzählige Sprach- und Literaturschallplatten sowie Alben mit allen möglichen Geräuschen wurden herausgegeben, denn es war das erklärte Ziel des Labels, die gesamte akustische Welt zu dokumentieren; O-Töne von Satelliten, Müllhalden, Büros und sogar eine Platte mit Geräuschen aus einem Operationssaal wurde veröffentlicht.

Auch wenn das Label offiziell noch immer existiert, endete die eigentliche Ära Mitte der 80er Jahre mit dem Tod des Gründers Moses Asch. Er war politisch aktiver Aufklärer, Sound-Archivar mit missionarischem Eifer, und Folkways seine Plattform, mit der er seine Obsession des Akustischen mit der Welt teilte. So folgte das Label auch eher einem Bildungsauftrag als kommerziellen Interessen, und arbeitete oftmals mit öffentlichen Einrichtungen wie Hochschulen oder Museen zusammen.

Das American Museum of Natural History in New York war es dann auch, welches 1951 das Label anfragte, einen Soundtrack zu einer Ausstellung über das Leben der Stämme im südamerikanischen Regenwald in Peru zu erstellen. Das passte zur Vision des Labels, und Asch nahm den Auftrag an; eine Ausstellung mit Soundtrack war damals eine Neuheit, und das Ergebnis wurde als überaus positiv und authentisch gelobt. Allerdings: die Aufnahmen stammten nicht aus Peru, sondern u.a. aus Panama, aus dem Bronx Zoo und einer Dusche in Manhattan; eine Passage sogar von einer französischen Musique-Concrete Komposition, welche hier unter dem Titel ,Monkey Chatter’ zu hören ist. Als Sounds Of A Tropical Rain Forest In America erschien das Ganze als Album auf Folkways; es war die erste Veröffentlichung der sogenannten ,Sound Science Series’, welche es sich zum Auftrag machte, die akustische Welt in allen ihren Facetten auf Schallplatten zugänglich zu machen.

Um ein akustisches Dokument des Regenwaldes in Peru handelt es sich bei dieser abenteuerlichen Klang-Collage also nicht – und auch die Abbildung auf dem Cover, eine Luftaufnahme des Regenwaldes, aufgenommen von der US Army, wirkt wie ein abstraktes organisches Muster, das mehr verschleiert als es zeigt. Doch was dokumentiert diese Platte überhaupt? Sie dokumentiert eine Vorstellung davon, wie ein Regenwald klingt. Eine Vorstellung, die damals vielleicht gerade deshalb so authentisch wirkte, weil sie ein akustisches Phantasma des Regenwaldes im Amazonasgebiet abbildet, das nicht nur in den Köpfen von Asch und seinem Team existierte, sondern auch im kollektiven Bewusstsein des Publikums.

Im Begleittext zur Schallplatte wird gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass ,diese Platte hat etwas von einer Herausforderung und einem Experiment’ hat; es wird hier keineswegs verschleiert, dass die Tieraufnahmen frühmorgens im Zoo aufgenommen wurden, oder aus dem Schallarchiv des renommierten Vogelstimmenforschers Prof. Kellog stammten. Auch die Kuratoren des Museums wussten Bescheid, dass diese vermeintlichen O-Töne nicht etwa von einer Exkursion in Peru stammten. Dass die Regengeräusche von einer Plastikfolie unter der Dusche kamen wurde damals zwar dementiert, doch es scheint wahrscheinlich, dass diese Anekdote mehr Wahrheit als Dichtung enthält. Der geborgte Ausschnitt aus dem Musique-Concrete Stück scheint aber bisher noch niemandem aufgefallen zu sein; es wäre interessant, einmal den Komponisten des Originals, Pierre Henry, zu fragen, ob er von der Verwendung seines Stückes auf dieser Platte Bescheid wusste (unwahrscheinlich), und was er davon hält.

Das Folkways Label wird heutzutage vom Smithsonian Institut für Kulturerbe in Washington verwaltet, es hält den Bestand zugänglich, veröffentlicht ab und zu neue Platten, und publiziert ein Online-Magazin rund um das Label und dessen vielfältige Themen. Der Online-Auftritt von Folkways ist vorbildlich: die über zweitausend veröffentlichten Platten haben jeweils eigene Seiten mit Plattencover, Anhörfunktion, sowie den Begleittexten als PDF.

Auch die Regenwaldschallplatte <http://www.folkways.si.edu/sounds-of-a-tropical-rain-forest-produced-for-the-american-museum-of-natural-history/album/smithsonian>, sowie die anderen Platten der ,Sound Science Series’ sind zugänglich. Die Dokumentation unserer akustischen Umwelt wird heute durch unzählige Field-Recordings dokumentiert, und die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung damit bekam in den späten 1960er Jahren durch den Begriff der Klang-Ökologie Auftrieb, und seit einigen Jahren widmen sich die Kultur- und Geisteswissenschaften verstärkt dem Akustischen. Doch die eigenwilligen Ansätze des Folkways Labels, sich mit unserer Geräusch-Umwelt abseits von Musik oder Sprache zu befassen, haben das Potential, auch den heutigen Diskurs zu inspirieren.