Sophia le Fraga wartet im Chatroom auf Godot
Zwei Menschen treffen sich im Internet. Wie sie hierher gekommen sind, weiss niemand. Was sie antreibt, einen Chat-Dialog zu beginnen, bleibt ebenfalls im Dunklen. Es gibt kein konkretes Anliegen, keine auszumachende Verabredung, keine Fragen und keine Antworten. Was übrig bleibt, ist das Feiern der puren Existenz in reiner Textform: „We’ll have to celeb8 this being together at last.“
Was bei einer Verabredung in der realen Welt Zeichen von Sympathie oder einfach nur Zeugnis von zufälliger Begegnung sein kann, wird im digitalen Raum zum völligem Absurdum. Die Neigung des virtuellen Gesprächs, eine Pause als drohenden Tod von Konversation aufzufassen, zwingt die Gesprächspartner dazu, auch die kleinste Lücke zu verbalisieren. Der Kuriosität der Situation bewusst, werfen sich auch die beiden Protagonisten während der Auseinandersetzung immer wieder selbst die Frage auf, welche Bedeutung ihr Zeitvertreib hier eigentlich habe. Eine Antwort gibt es, tatsächlich. Sie ist immer da, wird im Laufe des Gesprächs nicht verändert und obwohl sie ihr Versprechen nicht einlöst, verliert sie doch nie an Souveränität: „We’re w8ting 4 – ?Emoticon-“. (Wobei es sich bei dem Emoticon um eine graue Silhouette handelt). Der Schatten eines Gesichts als Symbol von Ungewissheit, die wohl nur durch ihre Personifizierung zur Rechtfertigung der Tatsache wird, dass sich zwei Menschen hier treffen.
Das Ganze gab’s schon mal, richtig. Vor ungefähr 60 Jahren, nannte sich „Warten auf Godot“ und die graue Silhouette trug damals noch einen Namen. Auch das Ende ist bekannt. Godot kommt nicht und die beiden Protagonisten drehen sich genauso im Kreis wie die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Die 1990 in New York geborene und dort lebende Dichterin und Visual-Künstlerin Sophia le Fraga erläutert ihren Schreibstil wie folgt: „Find a few important words, and a lot of dull-sounding ones“. Add-ons sind ein großes Repertoire an Emoticons und eine -für das Medium Internet- doch relativ routinierte Anzahl sich direkt wiederholender Satzzeichen. In ihrer „Anti-Play“-Trilogie „W8ING 4“, „TH3 B4LD 50Pr4N0“ und „UND3RGR0UND L0V3R5“ verfasst sie ihre Kunst im Layout des iOS als Videoformat. Hier verwickelt sie ihre Protagonisten in virtuelle Dialoge, die den Anschein erwecken, sich linear nicht wirklich weiter zu entwickeln. Mit der Zeit kristallisiert sich aus dem munteren hin- und her chatten in einem scheinbar x-beliebigen Dialogfenster jedoch der existenzielle Charakter der Texte heraus.
„I guess let’s try to have a conversation, since we apparently can’t stopt txting each other“, schlägt einer der beiden Gesprächspartner nach geschlagenen drei Minuten in „W8Ing 4“ vor. Die Antwort ist prompt: „Say something!“ – „What do we do?“ – „We w8 4…“. Beide Kandidaten sind sichtlich hilflos, doch führen trotz Reflexion über das ungewisse Ende ihrer Konversation beharrlich die Diskussion fort. Die Tätigkeit, die sich nur um sich selbst dreht, wird letztendlich zur Strategie, sich vor der Komplexität der Existenz zu bewahren: „that prevents you from finding… (…) that prevents you from thinking“. Der Text wird zum Symbol des Lebens, die Anonymität des Internets zur Kulisse des auf das Wesentliche konzentrierten Menschen. Der wiederum letztendlich nur feststellt, dass er gestern auch schon hier war und noch immer auf der Stelle tritt: „We were probably just txting.“ Und doch, selbst wenn der Text inhaltslos ist: „We always find sumthin 2 do that makes us feel like we exist“. Und vielleicht muss die endgültige Antwort auf die Frage nach dem Sinn doch den Existentialismus sprengen, um das denkende und zweifelnde Tier des Suizides zu bewahren: „Lol. We’re magicians.“
Anschauen des Videogedichts geht hier: https://vimeo.com/84740600