Permutation, Experiment und Zauberei
Die experimentellen Techniken zur Generierung von Texten – seien es Cut-up, automatisches Schreiben, Improvisation im Sprechen oder spontane Wortspiele – führen oft zu auf den ersten Blick „sinnfreien“ Texten. Vielleicht ist es aber auch nur so, dass unsere sprachliche Konditionierung, die allem einen Sinn abzuringen gewohnt ist, sich gegenüber einer Öffnung des Bedeutungsspektrums wehrt.
Dabei ist es durchaus möglich, dass die Ergebnisse der Textexperimente unterschwelligen Bewusstseinsströmen „aufsitzen“, die sich erst im gemeinsamen Lesen und Diskutieren, oder etwa in einer musikalischen Bearbeitung erschließen.
Selten ist dieses „Unterschwellige“ von dem Gedanken getragen, etwas Konkretes zu bewirken. Trotzdem kann es passieren, dass darüber ein Geheimnis, eine Idee oder ein Wunsch zutage tritt, der sogar „künstlerisch wertvoll“ ist.
Das künstlerische Streben nach im Unterbewussten schlummernden Inspirationen, die sich aber dem „Wollen“ oder einer zielgerichteten „Ausgrabung“ entziehen, hat zu einer Vielzahl literarischer Techniken geführt, von denen einige – wie etwa die Collage – dem bildnerischen Bereich entnommen sind.
Es gibt auch Methoden, die von einem deutlich eingeschränkten Materialvorrat ausgehen und sich vornehmlich auf die Welt der Buchstaben und einzelner Wortkombinationen konzentrieren. Daraus ergibt sich eine Verknüpfung zwischen Stimme, Form und Formel, die ich etwas genauer beschreiben will.
Nomen est Omen
Der Zusammenhang zwischen Wort und Macht, zwischen Sprechen und Wirken scheint erst einmal fast selbstverständlich. „Gott sprach es werde Licht. Und es ward Licht.“ Aber warum eigentlich? Warum wird irgendetwas Teil der physischen Wirklichkeit, wenn wir es sagen? Und wo liegt die Macht, dies auszulösen, bei den Sprechenden oder im Wort selbst?
Der Glaube, dass bestimmte Worte mit Macht/Energie aufgeladen sind, besteht seit Beginn der Menschheit. Es gibt heilige Worte, verbotene Worte, Sprach- und Sprechgebote. Die Ordnung der Welt kann in der Ordnung der Worte abgebildet sein. Folglich kommt durch unordentliche Worte auch Unordnung in die Welt! Die Sprache der „Verrückten“, das „Unverständliche“, das Sinnlose kann als Bedrohung festgefügter Ordnungen gesehen werden…. oder eben gerade auch als etwas „Heiliges“, wie etwa bei der Glossolalie, dem Sprechen in Zungen. Man macht sich kaum klar, wie sehr auch noch unsere alltäglichsten Sprachhandlungen (!) von einem kulturell bestimmten Muster von Form und Formel bestimmt sind.
Besondere Bedeutung kommt den Namen zu. Der Glaube an den Zauber des Namens, daran, dass ein Träger in Verbindung steht mit den in ihm enthaltenen Eigenschaften, ist eine anthropologische Konstante. In manchen Kulturen ist es verboten, Leute bei ihrem persönlichen Namen zu nennen, es werden Platzhalter verwendet, Umschreibungen oder ein anderer, für diesen öffentlichen Gebrauch bestimmter Name. Damit verbunden ist die Annahme, dass, wer den Namen einer Person kennt, auch eine gewisse Macht über sie hat und/oder eine bestimmte Beziehung zu ihr demonstriert. „Ach wie gut das niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiss’.“ „Märchenquatsch“ kann man das nennen, zugleich ist aber der Gebrauch von Künstlernamen ähnlich gelagert: Ein anderer (wohlklingenderer?) Name, ein anderer Mensch, eine andere Sphäre der Gesellschaft.
Man sagt aber auch: Sobald man den Teufel beim Namen nennt, kommt er gerennt“. Oder: “Bei meinem Wort!“
Die Herbeirufung, die Anrufung, ja die Beschwörung eines Ereignisses, einer Person oder einer unsichtbaren Kraft durch eine exakt definierte Reihe/Anordnung von Worten oder Buchstaben führt in das Gebiet der Sprachmagie.
Protect Me From What I Want
Die allgegenwärtige Wirkmacht der Sprachmagie in unserer heutigen Welt zeigt sich vor allem in der Werbung. Die poetischen Techniken, mit denen die Slogans ihre Wirkung verstärken sind im Prinzip die gleichen derer sich Regenmacher, Priester, Politiker und selbstverständlich die Dichter bedienen.
Kein Zufall, dass die Dadaisten sich von der Sprache der Werbung inspirieren ließen, auch kein Zufall, dass die Lettristen nach Ende des zweiten furchtbaren Krieges in Europa die Ordnung der Welt und der Worte neu zu erfinden trachteten.
Die „magischen“ Aspekte gesprochener Sprache lassen sich grob in fünf Techniken, die oft in Kombination auftauchen, unterteilen. Um überhaupt Magie wirken zu lassen, muss aber in jedem Fall ein dringender Wunsch vorhanden sein. Ob es nun regnen, ein Pickel verschwinden oder eine höhere Bewusstseinsstufe erreicht werden soll. Ein weiteres Element ist das Setting, eine Umgebung, die durch ausgesuchtes Beiwerk sich vom Profanen abgrenzt. Und schließlich der Sprechende, die Zauberin selbst: eine Person, die mit dem Wissen und der „Gabe“ ausgerüstet ist, den Worten zu ihrer Wirkung zu verhelfen. Im Wesentlichen dienen folgende poetische Techniken zur Verstärkung des Gesagten:
– Repetition
– Aliteration/Reim
– Verbindung mit Melodie/Tonhöhe
– Sprechen zu bestimmten Zeiten/Anlässen
– Vorwärts- und Rückwärtssprechen
Worte oder Sätze werden also wiederholt, (etwa in Verbindung mit der Zahl Drei) um ihnen Nachdruck zu verleihen, sie sind in sich durch Reime oder gleiche Anfangsbuchstaben gebunden, sie müssen entweder besonders leise oder laut oder in einer bestimmten Melodie vorgetragen werden. Es gibt Tages-, Nacht- und Jahreszeiten, die günstig sein können und es gibt Sprüche oder Darbietungen, die nur zu bestimmten Anlässen verwendet werden. Insofern ist das poetische, aber auch das zauberische Wirken der Worte eng an die Vorstellungen und Ordnungen einer Kultur geknüpft. Gefährlich wird es, wenn diese Ordnung der Worte und Situationen nicht eingehalten wird! Durch das falsche Aussprechen einer Zauberformel wird bestenfalls die Wirkung verfehlt, es kann aber auch unvorhergesehenes Unheil entstehen. Das Rückwärtssprechen einer bereits gesagten Formel, abgesehen davon, dass Rückwärtssprechen ohnehin (wie das Rückwärtsgehen) als ein Zeichen des Verrückten, auch des „Diabolischen“ gilt, vermag dagegen gelegentlich den Zauber zu lösen.
Rats Live On No Evil Star
Es ist daher logisch, dass Worte und Sätze, die in ihren Buchstaben-Kombinationen entweder zu neuen Sinnzusammenhängen geführt werden oder solche, die sogar vorwärts wie rückwärts gesprochen werden können, eine ganz besondere Macht zukommt. Was uns in das Feld der Anagramme und Palindrome bringt.
Hier wird die Sprache selbst zum Material, das seiner ursprünglichen Verknüpfung von Signifikant und Signifikat entrissen, in seine kleinsten Teile, Silben und Buchstaben, zerteilt und rekombiniert wird.
Ein Anagramm ist ein Wort aus dessen Lettern sich durch Umstellung andere Worte bilden lassen, etwa „Gehirn/Hering“ oder eben auch „Künstlerdelirium/Unmuts-Kreiderille“. Ein Palindrom ist ein Wort, ein Satz oder ein ganzer Text, der vorwärts wie rückwärts gesprochen einen Sinn ergibt.
Diese Eigenschaft der Worte aus sich selbst heraus durch Permutation andere Worte zu bilden, hat die Menschen schon immer zutiefst verwundert und bestürzt. Eines der ältesten bekannten Worträtsel ist das Sator-Quadrat:
Erstmals wurde es auf einer Säule im alten Pompeji eingeritzt gefunden. Als Vierfach-Palindrom gilt es als eine der ältesten überlieferten „Zauberformeln“. Eine seiner möglichen Übersetzungen ist: „Der Sämann Arepo hält mit Mühe die Räder“. Mehr und erschöpfende Literatur gibt es z.B. hier: http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=3724
Das Wort, das rückwärts wie vorwärts funktioniert ähnelt darin dem Ouruboros, der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und die ein mächtiges Symbol für die Wiederkehr des Gleichen oder auch der Ewigkeit ist. Auch der Krebs ist ein animalisches Bild des „palindromos“, des „Wieder zurück Laufenden“. Ein weiteres Bild ist der Spiegel. Bei gleichlautenden Palindromen verläuft die Spiegelachse mitten im Wort, etwa das „T“ bei „Rentner“, bei den anderen zu Beginn oder deren Ende.
Die Anglistin Erika Greber verweist in ihrem Aufsatz „Das Palindrom im Spiegel der kulturellen Semiotik” auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Gewalt und Palindromen. Nicht nur, dass ein “poetischer Kannibalismus” im Palindromieren offenbar werde, viele der palindromatischen Inhalte seien auch von Tod und Gewalt geprägt. Im Barock sei daher das Palindrom auch als „versus diabolicus” bekannt gewesen, was natürlich wieder auf den Zusammenhang von Form, Formel, Zauberspruch und Ordnung verweist.
Hinter den Spiegeln
Ein modernes und inzwischen immer weiter entwickeltes Palindrom ist „A man, a Plan, Panama“, das von drei Elementen auf eine Länge von mehr als 40 angewachsen ist und inzwischen ganze Seiten füllt.
Das poetische Spiel mit Anagrammen und Palindromen ist in allen Sprachen der Welt verbreitet. Das Internet ist dafür eine wunderbare Quelle, man findet Palindrome aus aller Welt, z.B. hier: https://www.altalang.com/beyond-words/2008/11/03/12-amazing-palindromes-from-around-the-world/. Auch Anagrammgeneratoren lassen sich aufrufen, beispielsweise dieser http://www.sibiller.de/anagramme/, der schon seit über 15 Jahren im Netz ist.
Im Sinne eines Sprachspiels hängt es heute von den Dichtenden ab, ob ihre Ergebnisse höhere Inhalte transportieren oder sich in befreienden Nonsense auflösen. Vielleicht war die Düsternis der barocken Palindromdichter auch ihrer Zeit geschuldet.
Was bleibt ist der Wunsch einen Sinn hinter einem anderen Sinn zum Vorschein zu bringen, sozusagen hinter den Spiegel zu gehen, sei es nun im Anagrammieren oder auf der Suche nach Palindromen. Zu den bekanntesten zeitgenössischen Anagramm- und Palindromdichtern gehören der Künstler André Thomkins, die Schriftstellerin Unica Zürn, Oskar Pastior, Anton Bruhin… und viele andere.
Auch wenn in der heutigen Gesellschaft den Worten und ihren rätselhaften Permutationen mit weniger Ehrfurcht begegnet wird, bleiben sie ein faszinierendes Phänomen.
Gabi Schaffner, 2016